Eine Grundlage zur Reflexion der Partizipationsfähigkeit zur Steuerung von Wirkungen
Participation Readiness Assessment
Autor und Autorin: Renaud Bissling und Beatrix Gittig
Einführung
Die Lösung komplexer wirtschaftlicher, struktureller und prozessualer Herausforderungen, wie auch transformationsbedingter Veränderungen (wie Klimawandel, demografischer Wandel, Kulturwandel oder die digitale Transformation) erfordert immer häufiger die gezielte Einbindung und Beteiligung (Partizipation) multipler externer Akteure (Stakeholder, Shareholder, Kunden, Partner, Lieferanten, etc.) und die ressortübergreifende Zusammenarbeit interner Akteure (Führungskräfte, Mitarbeitende, Experten etc.).
Partizipations- und Kooperationsfähigkeit sind ein entscheidender Faktor für den Auf- und Ausbau von Geschäftsbeziehungen und dem Erhalt der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Zum Erhalt eines objektiven »Bigger Pictures« ist es wichtig, alle beeinflussenden Faktoren einzubeziehen, um Hindernisse und (eigene) Entwicklungspotenziale zu identifizieren und Handlungsimplikationen abzuleiten. Subjektive Einschätzungen darüber bergen häufig Konfliktpotenzial.
Da Zusammenarbeit sowohl partizipativ als auch kooperativ gesellschaftlich, politisch und vor allem institutionell immer stärker gefordert wird, gewinnen auch Rahmenbedingungen und Gelingenskritierien partizipativer Kooperationen in Forschung und gesellschaftsrelevanten Vorhaben an Bedeutung und erfahren auch innerhalb der Wirtschaft vermehrt eine Fokussierung. Zum Beispiel bei der internen Prozessgestaltung, aber auch bei der Einbindung von externen Stakeholdern, Partnern und Kunden.
Die Durchdringung von Partizipation, ihre erfolgreiche Anwendung sowie ihre Wirkungsvielfalt und Potenzialschöpfung stellen die verschiedenen (auch erfahrenen) Akteure der Quadrupelhelix (dem systemischen Gefüge aus Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Forschung) regelmäßig vor große Herausforderungen, die zu einer einfachen, aber relevanten Frage führen:
»Wie können Akteure reflektieren, ob sie bereit (ready) sind, Partizipation erfolgreich umzusetzen?«
Das vorliegende Papier gibt einen kompakten Überblick über die verschiedenen, auf die Partizipationsfähigkeit von Akteuren innerhalb der Quadrupelhelix einwirkenden Dimensionen.
Es soll eine erste konkrete Reflexionsgrundlage für die erfolgreiche Umsetzung partizipativer Arbeitsweisen in Organisationen und öffentlichen Einrichtungen bieten und eine damit einhergehende Steuerung von Wirkungen partizipativer Methoden und Arbeitsweisen ermöglichen. Aus Gründen der begrifflichen Schnittmengen von Partizipation und Kooperation werden die beiden Begriffe fortan synonym verwendet. Zielgruppe sind Akteure, die sich dem Thema Partizipation neu widmen sowie Akteure, die die Umsetzung partizipativer Vorhaben bereits angestoßen haben oder anstoßen werden.
Potenziale und Herausforderungen in der Praxis
Innerhalb von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben birgt Partizipation in verschiedenen Kontexten wie Citizen Science, Open Innovation, Frugal Innovation, Stakeholderdialogen etc. viele bereits bekannte, aber oftmals noch unzureichend geschöpfte Potenziale:
- Verkürzung von Innovationszyklen
- Akzeptanzsteigerung von Innovationen in der Gesellschaft
- Bessere Nutzenzentrierung bei Produktentwicklungen
- Erhebung großer Datenmengen und Verbesserung der Datenqualität
- Förderung des wissenschaftlichen Diskurses und der Wissenschaftsmündigkeit (Scientific Literacy)
- Nachhaltigere Lieferketten und Produktionszyklen
- Effizientere Stakeholderinteraktionen (mit Partnern, Kunden, Auftraggeber, etc.)
Gezielt angewendet trägt Partizipation auch in Forschungs- und Entwicklungsvorhaben der Wirtschaft dazu bei, Akzeptanz für neue Produkte, Innovationen oder Entscheidungen zu fördern oder neue Ideen und Ansätze für diese zu initiieren. Weiterhin kann Partizipation auch organisationsintern und -extern als Ansatz verwendet werden, um unter anderem Prozesse resilienter und effizienter zu gestalten oder Veränderungen der Unternehmenskultur zu ermöglichen.
Aus diesen durchaus steuerbaren Wirkungen ergeben sich also auch weitreichende Potenziale für die Anwendung im Bereich von Industriekooperationen oder organisationsinternen Veränderungsprozessen.
Als Herausforderungen zur Ausschöpfung von Partizipationspotenzialen ergeben sich unter anderem folgende Erkenntnisse:
- Akteure haben oftmals unzureichende Kenntnisse darüber, welche Dimensionen auf partizipative Aktivitäten einwirken und wie diese zu berücksichtigen sind.
- Akteure haben oftmals unzureichendes Wissen darüber, welche Fähigkeiten und Kompetenzen zur erfolgreichen Umsetzung von Partizipation relevant sind und benötigt werden.
- Es herrscht zudem ebenso häufig ein mangelndes Bewusstsein darüber, wie es um die eigenen Fähigkeiten und das eigene Kompetenzprofil zur Umsetzung partizipativer Aktivitäten bestellt ist.
- Auch herrscht mangelndes Wissen darüber, was der jeweilige Akteur wie ändern müsste, um partizipative Aktivitäten sinnvoll, effizient und nachhaltig umzusetzen.
- Ebenfalls bedeutend ist der regelmäßig ausbleibende Vergleich zwischen den kooperierenden und partizipierenden Akteuren in Bezug darauf, welche Einwirkungsdimensionen auf die jeweils andere Partei wie einwirken und über welches Kompetenzprofil der jeweilige Partner verfügt. So mangelt es oftmals an einem (gegenseitigen) Verständnis gegenüber der Situation des kooperierenden Partners.
Lösungsansatz
Zur Reflexion und Bewertung der eigenen Participation-Readiness entwickelt das TIC das niederschwellige Reflexions-Tool Participation Readiness Assessments (PRA), das folgende Anforderungen erfüllt:
- Universelle Anwendbarkeit für alle Akteure der Quadrupelhelix
- Universelle Anwendbarkeit unabhängig vom Projekt- bzw. Kooperations-Kontext und Anlass der Stakeholder-Einbindung
- Vergleichbarkeit mit der Readiness der Kooperationspartner bzw. anderer beteiligter Akteure
Die Grundaufgabe des Participation Readiness Assessments ist es, Orientierung zu geben. Dies soll erreicht werden, indem der Betrachtungsfokus auf die kontextuelle Einbettung eines jeden Partizipationsvorhabens gelegt wird.
Die kontextuelle Einbettung ergibt sich aus den drei relevantesten Einflüssen (Assessment- Dimensionen) für Partizipationsvorhaben, welche im nachfolgenden Schaubild sichtbar und damit besser erfassbar gemacht werden.
Die Assessment-Dimensionen sind unterteilt in externe, interne und individuelle Einflüsse.
Externe Einflüsse haben ihren Ursprung außerhalb der eigenen Organisation und sind damit nicht bis wenig steuerbar.
Es lohnt sich hier eine Differenzierung hinsichtlich Organisations-externer und Organisations-interner Wirkungsfelder:
- Externe Einflüsse auf der Organisations-externen Ebene sind beispielsweise Gesetze, eine politische Agenda oder wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Diese sind als Organisation nicht steuerbar, können aber unmittelbar auf ein Partizipationsvorhaben einwirken. Hiervon sind alle Organisationen gleichermaßen betroffen, nicht aber jedes Partizipationsvorhaben auf dieselbe Weise.
- Auf der Organisations-internen Ebene wiederum finden sich Organisationsreaktionen auf externe Einflüsse, wie beispielsweise implementierte Leitprozesse hinsichtlich Verwaltungsvorgängen, dem Umgangsverständnis mit Image-relevanten Tätigkeiten, den formulierten strategischen Organisationszielen etc.. Sie reagieren auf externe Gesetze und Erwartungshaltungen (z.B. Nachhaltigkeitsbestrebungen) und setzen diese um, können aber in ihrer Ausprägung und Charakterisierung je nach Organisationsart (GmbH, Stiftung, Öffentliche Einrichtung, usw.) und Organisationsgröße verschieden ausfallen. Entsprechend kann ein identisches Partizipationsvorhaben, das von zwei unterschiedlichen Organisationen durchgeführt wird, auch unterschiedlich von diesen Wirkungsfeldern betroffen sein. Diese Einflüsse sind schwer bzw. nur mit erheblichem Aufwand zu steuern, da der Reaktionsspielraum für eine Organisation sehr einschränkend ausfällt.
Die Betrachtung der externen Ebene hilft, eine Reflexion der übergreifenden kontextuellen Einbettung des geplanten Partizipationsvorhabens vorzunehmen. Die kontextuelle Einbettung bietet nahezu keine Ausgestaltungsmöglichkeiten.
Interne Einflüsse haben ihren Ursprung innerhalb der eigenen Organisation und sind damit relativ gut steuerbar.
Auch hier ist eine Differenzierung sinnvoll, und zwar zwischen Organisations-übergreifenden Einflüssen und Einflüssen auf den Forschungs- und Entwicklungs- bzw. Innovationsprozess (FEI-Prozess):
- Interne Organisations-übergreifende Einflüsse sind beispielsweise abteilungsübergreifende Workflows oder Leitlinien, die Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse, Reportingaktivitäten oder Ressourcennutzung definieren und vorgeben. Sie können sich unmittelbar positiv oder negativ auf Partizipationsvorhaben auswirken, lassen sich im Zweifel aber relativ einfach ändern und gelten somit als eher gut steuerbar.
- Interne FEI-Prozess-spezifische Einflüsse umfassen die auf einen jeweiligen FEI-Prozess gerichteten Vorgaben, Designs, verfügbaren Ressourcen, etc.. Auch sie können sich unmittelbar positiv oder negativ auf Partizipationsvorhaben auswirken, lassen sich im Regelfall noch einfacher anpassen und gelten somit als sehr gut steuerbar.
Die Betrachtung der internen Ebene hilft, innerhalb der eigenen Organisation die Identifizierung und Lokalisierung sinnvoller Partizipationsmöglichkeiten für ein geplantes Vorhaben vorzunehmen. Dabei sind durchaus flexiblere Ausgestaltungsmöglichkeiten zur Projektverortung und -durchführung innerhalb einer Organisation und deren Strukturen vorhanden.
Individuelle Einflüsse stellen die dritte Einwirkungsdimension dar und fokussieren die Fach-, Sozial- und Methodenkompetenzen der jeweils unmittelbar am Partizipationsprojekt beteiligten Personen. Diese sind theoretisch (bei Ressourcenverfügbarkeit und Willen) sehr gut änder- und damit steuerbar.
- Die Sozialkompetenzen der Projektbeteiligten wirken sich direkt auf den Erfolg der persönlichen Interaktion zwischen Kooperationspartner und Eingebundenen aus. Beispielhaft spielen unter anderem Interdisziplinarität und Offenheit gegenüber verschiedenartigen Stakeholdern (Arbeitskultur, Interkulturalität, Demographie, Bildungsniveau) vermehrt eine den Erfolg des Gesamtvorhabens beeinflussende Rolle. Ein weiteres Kompetenzbeispiel ist das Kommunikations- und Verhandlungsgeschick bei der Projektkonzeption und der Schaffung eines gemeinsamen Zielverständnisses.
- Die Fachkompetenzen der Projektbeteiligten beeinflussen Partizipationsprojekte ebenso unmittelbar: Die Fähigkeit, auf Expertise, Wissen und individuelle, wie auch kollektive Erfahrungswerte zurückzugreifen, trägt maßgeblich zum Erfolg bei.
- Methodenkompetenzen wiederum sind essentiell, um je nach Partizipationsprojekt die Einbindung hinsichtlich der Organisation, Koordination und Formatbestimmung zielorientiert und in Abhängigkeit der Rahmenbedingungen erfolgsversprechend zu gestalten.
Die Betrachtung der individuellen Ebene und damit die Analyse des individuellen und fallspezifischen Kompetenz- und Ressourcenbedarfs zur Vorhabenumsetzung ermöglicht es, konkrete Bedarfe zu identifizieren und direkt zu adressieren. Der Umgang mit Bedarfen oder verfügbaren Kompetenzen ist frei nach eigenem Ermessen gestaltbar.
An dieser Stelle sei hervorgehoben, dass sämtliche auf das partizipativ bzw. kooperativ angelegte Vorhaben wirkende Einflussfaktoren in ihrer Gesamtheit die kontextuelle Einbettung darstellen und sich entsprechend gesamtheitlich und mit multiplen Wechselwirkungen untereinander auf den Umsetzungserfolg auswirken.
Fazit
Das Participation Readiness Assessment des TIC ermöglicht die Bewertung von Einflüssen auf Kooperationen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse auf niederschwellige und effiziente Weise und ist unabhängig von Projektsetting, Branche, Organisationsform oder Personengruppe individuell anwendbar. Das dadurch mögliche systemische Reflektieren schafft eine Vergleichbarkeit der beteiligten Akteure und ermöglicht so die Entstehung nachhaltigerer Partizipations- bzw. Kooperationsaktivitäten.
Inwieweit ein Partizipationsvorhaben von den verschiedenen Assessment-Dimensionen tangiert wird, ist jeweils individuell und fallspezifisch zu ermitteln. Grundsätzlich ist es sinnvoll, das Assessment möglichst frühzeitig, also zu oder bereits vor Beginn eines partizipativ oder kooperativ angelegten Vorhabens durchzuführen, um die daraus entstehenden Handlungsimplikationen bestmöglich in die Strukturen und Abläufe des Vorhabens einzuflechten. Vor allem im Sinne eines präventiven Risikomanagements empfiehlt sich die Durchführung des Assessments, da es potentielle Whitespots identifizieren und Hindernisse sichtbar machen kann. Ebenso kann diese Reflexionsgrundlage jedoch auch als Retrospektive zu einem bereits laufenden, aber nicht optimal funktionierenden Vorhaben oder auch nach Abschluss durchgeführt werden, um daraus Verbesserungspotentiale für künftige Vorhaben abzuleiten.